Plenarwoche: „Die Landesregierung muss dringend aufwachen“
Plenarwoche im Hessischen Landtag im September 2022
- Die Lage an Hessens Schulen ist prekär
- Ukraine-Krieg: Jede Möglichkeit der Energieversorgung nutzen
- Der Mittelstand braucht Liquidität statt Regulierung
- Extremisten versuchen über Energiekrise die Gesellschaft zu spalten
- ÖPNV: Flatrate-Ticket an Investitionen in Qualität und Infrastruktur koppeln
- Kita-Landeselternbeirat könnte längst gewählt sein
WIESBADEN – „Ich bin von der hessischen Landesregierung aus CDU und Grünen auch nach der Sommerpause aufrichtig enttäuscht und halte die Realitätsverweigerung angesichts multipler Krisen für gewagt. Wir stehen vor massiven Herausforderungen, von der Schulpolitik und der Wirtschaftslage über Krieg und Inflation bis zu bezahlbarer Energie oder Mobilität unserer Bürgerinnen und Bürger“, kommentierte der Vorsitzende der Fraktion der Freien Demokraten im Hessischen Landtag, René ROCK, die erste Sitzungswoche nach der parlamentarischen Sommerpause. „Die hessische Landesregierung muss dringend aufwachen.“
Zum neuen Schuljahr begann die Plenarsitzung des Landtags mit einer Erklärung von Kultusminister Prof. Dr. Alexander Lorz zur Schulpolitik. Rock widersprach der positiven Darstellung des Kultusministers vehement: „Die Lage an den hessischen Schulen ist prekär: Hessen erlebt einen akuten Lehrkräftemangel, es gibt keinerlei pädagogische Innovationen und es wird noch nicht einmal der Lehrstand ermittelt. Die pressewirksam vermarkteten Schaufensterprojekte täuschen uns nicht: Es wird nur der Status quo verwaltet.“
In die 134-Prozent-Zuweisung, die der Minister gern in Bezug auf die Lehrerversorgung erwähne, seien alle Zuschläge mit eingerechnet, die die Schulen für sehr zeitintensive Zusatz-Aufgaben bekämen. „Aber die Zuweisung steht nicht vor einer Klasse und hält Unterricht. Das kann nur eine Lehrkraft. Viele Schulen sind heilfroh, dass sie die Grundunterrichtsversorgung abdecken können. Dafür müssen sie schon Pensionäre rekrutieren, Kurse in der Oberstufe zusammenlegen sowie Quereinsteiger akquirieren“, kritisierte Rock. „Dieser Kultusminister hat den falschen Fokus: Statt sich der Mangelverwaltung zu rühmen, sollte er mit einer Verlängerung des Studiums für das Grundschullehramt das Studium attraktiver machen und mit vereinfachten Möglichkeiten von Quereinstieg und Weiterbildung auch Menschen ohne zweites Staatsexamen für den Beruf oder ausgebildete Lehrkräfte für weitere Fächer begeistern.“ Zudem dürfte es keine Sommerferienarbeitslosigkeit für Lehrkräfte mehr geben. „Damit wird das Risiko verringert, dass sie sich in dieser Zeit etwas Anderes suchen.“
Grundlage für ein modernes Bildungssystem ist nach Überzeugung der Freien Demokraten die Digitalisierung. „Schülerinnen und Schüler wachsen heutzutage in einer Welt auf, in der Digitalisierung allgegenwärtig ist“, erklärte Rock und verwies exemplarisch auf die lange Zeit verschleppte Einführung eines Videokonferenzsystems für die Schulen. Darüber hinaus fordern die Freien Demokraten einen flächendeckenden Informatik-Unterricht anstelle des Fake-Fachs Digitale Welt. „Informatische Bildung muss heute Teil von Allgemeinbildung sein. Sie ist grundlegend für Chancengerechtigkeit und sie ist essenziell für unseren Wirtschafts- und Forschungsstandort. Alle Kinder müssen informatische Bildung erhalten“, forderte Rock.
Anlässlich der Plenardebatte über die Folgen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine forderte Rock die Landes- und Bundesregierung auf, die bremsende Rolle Deutschlands zu beenden: „Wir werden von einem autoritären System bedroht. Wir müssen gemeinsam mit unseren Partnern in der Europäischen Union alles dafür tun, unsere Freiheit, unsere Demokratie und unseren Wohlstand zu verteidigen. Genau dafür kämpft die Ukraine. Aktuell muss der Westen der Ukraine die Waffen liefern, die sie benötigt. Wie notwendig das ist, beweist nicht zuletzt die Teilmobilmachung in Russland.“ Zur Ukraine zu stehen, bedeute auch, aufnahmebereit zu sein. „Erforderlich ist ein langfristiger Plan, um im Falle eines Falles die kurzfristige Wiedereröffnung von Notunterkünften zu gewährleisten und Erstversorgung, Registrierung und Verteilung reibungslos zu gestalten.“
Trotz Ukraine-Krise und Bedrohung durch Russland, aber auch durch China, gelte weiterhin die Bedeutung internationaler Arbeitsteilung und internationalen Handels: Die aktuellen Herausforderungen lösen wir nicht durch eine Deglobalisierung, der Ministerpräsident Boris Rhein gern das Wort redet, sondern durch mehr Globalisierung und mehr Freihandel. Deglobalisierung ist ein Irrweg, gerade für ein exportorientiertes Land wie Hessen“, betonte Rock. „Deglobalisierung macht für Menschen und Unternehmen das Leben teurer und ist brandgefährlich. Wer weniger Globalisierung will, wird zum Inflationstreiber.“
Der Angriffskrieg auf die Ukraine hat auch Folgen für die Energieversorgung: „In diesem Winter droht der Blackout, drohen Menschen zu frieren oder ihre Stromrechnung nicht mehr begleichen zu können. Ich erwarte daher, dass wir keine Energieträger ausschließen und jede Möglichkeit nutzen, um die Versorgung sicherzustellen und die Kosten niedrig zu halten“, sagte Rock. Er warb explicit für eine Weiternutzung von Kernkraftwerken: „Es ist nicht ethischer, französischen Atomstrom oder gefracktes Gas aus den USA zu importieren als dieses selbst zu produzieren.“
Rock ergänzte mit Hinblick auf die zukünftige Versorgung mit Energie: „Es ist jetzt wichtig, unser Land krisenfest zu machen, Beschaffungsmärkte und Energieträger zu diversifizieren und Ressourcen in Deutschland besser zu nutzen. Die bisherigen Maßnahmen der Landesregierung sind unzureichend, um die Energieversorgungskrise abzuwenden. Die mittelständische Wirtschaft, Handwerk, Gewerbe, Industrie und Haushaltskunden sollten durch unbürokratische Maßnahmen bei der Umstellung der Energieversorgung (Fuel-Switch) unterstützt werden. Künftig wird Wasserstoff eine zentrale Rolle in der Energieversorgung spielen. Andere Bundesländer sind bei der Umsetzung ihrer Wasserstoffstrategien deutlich weiter als Hessen. Wir Freien Demokraten fordern die Landesregierung auf, endlich ein umfassendes Wasserstoffförderprogramm aufzulegen. Außerdem muss sichergestellt werden, dass Hessen schon beim Start des neuen Leitungsnetzes für Wasserstoff angebunden wird, denn insbesondere die chemische Industrie ist auf eine leistungsfähige Leitungsinfrastruktur angewiesen.“
Den Plänen der SPD zur Änderung des Hessisches Mittelstandsförderungsgesetz erteilten die Freien Demokraten eine klare Absage und forderten stattdessen eine der aktuellen Energiekrise angemessene Unterstützung des Mittelstandes. „Die SPD möchte ihre sozialpolitischen Vorstellungen über die richtige Unternehmensführung in ein Gesetz gießen. Mehr Bürokratie und mehr Regulierung würden den Mittelstand jedoch strangulieren“, erläuterte Rock mit Blick auf die Kriterien, an die die Sozialdemokraten zusätzliche Fördermittel knüpfen wollen. „Metzger, Bäcker und Industrie brauchen nicht noch mehr staatliche Einmischung. Sie sagen unisono, dass ihnen die Energiekosten das Genick brechen, wenn nicht bald gehandelt wird. Die Betriebe brauchen Liquidität“, unterstrich Rock. „Statt Bonuspunkte für sozialdemokratisches Wohlverhalten an kleinere und mittlere Unternehmen zu vergeben, sollte Hessens Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir aktiv werden. Der Minister wartet auf Bundesprogramme und verkauft sie am Ende so, als hätte das Land daran irgendeinen Anteil gehabt. Das reicht nicht.“ Die Freien Demokraten fordern einen landeseigenen Notfallfonds. „Diesen Fonds gab es schon während der Corona-Krise. Er muss jetzt schnellstmöglich reaktiviert werden. Ebenso muss die Landesregierung die Darlehens- und Bürgschaftsprogramme der WI-Bank an die aktuelle Lage anpassen und die Ko-Finanzierung der Bundeshilfen sicherstellen.“ Nicht zuletzt brauche es schnelle und unbürokratische Lösungen, um Betriebe bei der Umstellung von Gas auf andere Energieträger zu unterstützen. „Jetzt ist keine Zeit für lange Genehmigungsverfahren.
Auf Initiative der Linken debattierte der Landtag über steigende Energiepreise. Empört kritisierte Rock den Versuch der Linken, einen Keil in die Gesellschaft zu treiben: „Die stark gestiegenen Energiepreise sind Ergebnis der Gas-Liefereinstellungen, mit denen der russische Aggressor Wladimir Putin versucht, die Staaten des Westens zu destabilisieren. Er versucht, die Gesellschaften zu spalten und das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Handlungsfähigkeit der Regierungen zu untergraben. Extremisten und Radikale versuchen, die Lage zu nutzen, um Stimmung zu machen, um aufzuwiegeln und zu hetzen. Die Linke gehört ganz offenkundig zu den politischen Kräften, die Russland und Putins Politik unterstützen. Ihr geht es nicht um die Menschen, die Unterstützung brauchen. Ihr geht es darum, unser Land und unsere Demokratie in Verruf zu bringen und einen Systemwechsel zu herbeizuführen. Die Ampel-Regierung im Bund hingegen hat angesichts der stark steigenden Preise bereits drei Entlastungspakete auf den Weg gebracht, mit denen Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen und Mittelständler um 95 Milliarden Euro entlastet werden. Diese Pakete werden wirken und alle Bürgerinnen und Bürger erreichen.“
In ihrem Setzpunkt haben die Freien Demokraten die Landesregierung aufgefordert, Lehren aus den Erfahrungen mit dem 9-Euro-Ticket zu ziehen und ihren Beitrag zur Finanzierung eines Nachfolge-Tickets zu leisten. „Das 9-Euro-Ticket hat gezeigt, dass Entbürokratisierung und Digitalisierung im Nahverkehr möglich sind: Man kann den Tarifdschungel und die Grenzen der Verkehrsverbünde überwinden, und jeder kann unkompliziert ein Ticket am Automaten, am Schalter oder online kaufen. Wir müssen weg von der Kleinstaaterei der Verkehrsverbünde, und stattdessen in Infrastruktur und Qualität des ÖPNV investieren“, begründete Rock den Antrag auf die Einführung eines neuen Flatrate-Tickets. „Wer will, dass der ÖPNV attraktiver wird, muss in die Qualität investieren. Um die Menschen langfristig für den ÖPNV zu gewinnen, braucht es eine bessere Infrastruktur und mehr Schienen. Deswegen muss die Nachfolgelösung des 9-Euro-Tickets mehr kosten, denn Qualität hat ihren Preis. Wenn die Qualität stimmt, sind die Menschen auch bereit, diesen Preis zu zahlen. Es braucht moderne und pünktliche Züge und flächendeckendes WLAN.“ Rock verwies darauf, dass der Bund den Ländern 2,5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt hat, damit diese das 9-Euro-Ticket bereitstellen können. „Jetzt hat der Bundesverkehrsminister angekündigt, künftig jedes Jahr 1,5 Milliarden Euro für ein Nachfolgeticket bereitzustellen. Nun sei Hessens Verkehrsminister Tarek Al-Wazir am Zug. „Die Bereitstellung und Finanzierung des ÖPNV ist Ländersache. Wenn der Minister ebenfalls entsprechende Mittel zur Verfügung stellt, wird sich der Bund an der Finanzierung einer Nachfolgelösung für das 9-Euro-Ticket beteiligen. Das bringt Hessen voran und motiviert Menschen, auf öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen.“
Als Sprecher für frühkindliche Bildung zeigte sich Rock erleichtert, dass die Einrichtung eines Kita-Landeselternbeirats endlich vorankommt. „Ohne die Verweigerungshaltung von Schwarz-Grün könnten die so wichtigen Elternvertretungen längst gewählt sein“, erklärte Rock anlässlich der Plenardebatte über einen von der Koalition vorgelegten Gesetzentwurf für einen Kita-Landeselternbeirat. Die Freien Demokraten hatten bereits mehrere Vorstöße unternommen, teils gemeinsam mit der SPD, und ebenfalls Gesetzentwürfe vorgelegt. Der jüngste Vorschlag der Freien Demokraten befindet sich ebenfalls noch im Geschäftsgang des Landtags.
Geht es nach den Freien Demokraten, werden Kita-Elternbeiräte auch kommunal eingerichtet. „Hier besteht im Gesetzentwurf der Koalition noch Verbesserungsbedarf: Dass im Vorschlag von CDU und Grünen die Kita-Elternbeiräte auf Gemeinde- und Jugendamtsbezirksebene nur eingerichtet werden können, aber nicht müssen, greift zu kurz.“ Rock ergänzte: „Hessen ist eines der letzten Bundesländer, die bislang noch keinen Kita-Landeselternbeirat haben. Jetzt muss es das Ziel sein, dass die Vertretungen möglichst bald gewählt werden können. Ein Beirat für Kita-Eltern auf Landesebene, analog zum Landeselternbeirat für Mütter und Väter von Schülerinnen und Schülern, ermöglicht demokratische Teilhabe und stärkt die Bedeutung und Anerkennung frühkindlicher Bildung.“
Mehr Informationen und Videos zur Plenarwoche finden Sie unter fdp-fraktion-hessen.de/plenarberichte/