Plenarwoche: „Wir dürfen nicht zur Tagesordnung übergehen“

31.03.2022

Plenarwoche im Hessischen Landtag im März 2022 

ROCK: Wir dürfen nicht zur Tagesordnung übergehen

  • Regierungserklärung zur Ukraine: Zeitenwende ist Hinwendung zur Realität
  • Nahrungsmittelproduktion in Hessen muss erhöht werden
  • Die Messe Frankfurt braucht neue Wachstumsstrategie
  • Keine Denkverbote beim Paradigmenwechsel in der Energiepolitik
  • Hessens Schieneninfrastruktur muss schnell ausgebaut werden

WIESBADEN – Der Vorsitzende der Fraktion der Freien Demokraten im Hessischen Landtag, René ROCK, hat in seiner Bewertung der Plenarwoche im März 2022 die Regierungskoalition aus CDU und Grünen eindrücklich davor gewarnt, bei den für Hessen aktuellen Herausforderungen verharmlosend zur Tagesordnung überzugehen. „Vom verbrecherischen russischen Angriffskrieg auf die Ukraine über die Nahrungsmittel- und Energiesicherheit bis zur Zukunft des Messestandorts Frankfurt, wir müssen umfassend neu denken und neu handeln.“

Die Regierungserklärung von Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) zur Ukraine widmete sich vornehmlich der Organisation von Unterbringung und Versorgung ukrainischer Flüchtlinge. Dies griff für ROCK viel zu kurz: „Wir können hier doch nicht einfach die Augen verschließen. Die Ausmaße dieses brutalen Angriffskrieges Russlands sprengen alle Vorstellungen, alle Dimensionen, die wir seit 1945 in Europa kennen. Frieden kann es erst geben, nachdem Freiheit, kulturelle Selbstbestimmung und Demokratie in der Ukraine verteidigt worden sind. Zeitenwende bedeutet eine Hinwendung zur Realität, auch in Hessen, und das muss deshalb heißen, alle Abhängigkeiten schnellstmöglich zu beenden, alle Liefer- und Wirtschaftsbeziehungen auf ein absolutes Minimum zu reduzieren und alle Profiteure des Putin-Regimes zu sanktionieren. Dies gilt erst recht für Unternehmen, an denen das Land Hessen beteiligt ist. Denn der Angriffskrieg Russlands ist nicht nur ein Angriff auf die Ukraine. Er ist ein Angriff auf unsere europäischen Werte, auf unsere demokratische Grundordnung und auf das internationale Völkerrecht.“ Rock deutete auch auf den Schutz Hessens: „Die Landesregierung muss mit den Kommunen im Bereich des Zivilschutzes Verantwortung tragen und den Schutz von sensiblen Einrichtungen wie der lebensnotwendigen Strom- und Wasserversorgung vor konventionellen wie auch vor Cyber-Attacken neu bewerten sowie gegebenenfalls Konsequenzen ziehen. Darüber hinaus muss sichergestellt werden, dass das große Engagement der Bürgerinnen und Bürger bei der Aufnahme und Unterstützung Geflüchteter erhalten bleibt und das Vertrauen der vielen Freiwilligen nicht verloren geht: Wir brauchen schnelle, unbürokratische Lösungen und Unterstützungsmöglichkeiten statt Zuständigkeitsdiskussionen“, stellte Rock klar. „Der Angriff Russlands auf die Ukraine hat alles verändert. Diese bittere Erkenntnis müssen wir verstehen und unsere Konsequenzen ziehen. Es gibt kein Zurück zur Normalität. Es ist die Aufgabe des Landestags und der Landesregierung, das nun Notwendige zu tun, um die Menschen aus der Ukraine bestmöglich zu unterstützen.

Herr Stepan Rudzynskyy, Vorsitzender der Ukrainischen Gemeinde Frankfurt (Mitte rechts)
Herr Andreas Kaprocki, stv. Vorsitzender des Dachverbandes der ukrainischen Organisationen in Deutschland (Mitte links)

Rock erinnerte die hessische Landesregierung auch an ihre Mitverantwortung im Bund: „Die Europäische Union und die Nato waren nie wertvoller, als heute. Wir sind froh, dass Europa und die westliche Allianz geschlossen sind. Diese Geschlossenheit müssen wir bei der Unterstützung der Ukraine beibehalten. Das gilt für die Lieferung humanitärer Güter ebenso wie von Waffen. Zeitenwende heißt aber auch, die Bundeswehr wieder in die Lage zu versetzen, unser Land und unsere Bündnispartner gegen Angriffe zu verteidigen. Wir unterstützen ausdrücklich die Bundesregierung bei der Modernisierung unserer Streitkräfte. Dazu gehört, dass Teile unserer Gesellschaft ihr Bild von der Bundeswehr revidieren. Unsere Soldatinnen und Soldaten verdienen Respekt und Anerkennung und jede Unterstützung, die sie benötigen.

Die Freien Demokraten betrachten die Situation der weltweiten Ernährungssicherheit mit Sorge. Angesichts des russischen Angriffskriegs droht die gesamte Ernte in der Ukraine, der Kornkammer Europas, auszufallen. Die weltweite Nahrungsmittelproduktion steht darüber hinaus aufgrund explodierender Düngemittelpreise und rasant steigender Energiepreise unter Druck. Angesichts zu erwartender Exportausfälle von Weizen, Mais, Sonnenblumen, Zuckerrüben, Gerste, Soja und Raps machten die Freien Demokraten die Ernährungssicherheit zu ihrem Schwerpunktthema im Landtag. „Die Situation belastet in Europa die Portemonnaies der Bürger. In den armen und ärmsten Teilen der Welt belastet sie aber die Mägen der Menschen. Es ist jetzt an der Zeit, alle Produktionskapazitäten zu nutzen“, appellierte Rock.

„Die EU bezahlt Landwirte dafür, dass sie Flächen nicht bewirtschaften“, erklärte Rock mit Blick auf stillgelegte Flächen, für deren Nicht-Bewirtschaftung Landwirte EU-Beihilfen erhalten. „Wenn diese Flächen für den Anbau von Getreide freigegeben würden, könnten wir bei einem Ertrag von 3,5 Tonnen Weizen pro Hektar deutschlandweit zusätzlich 1,26 Millionen Tonnen Weizen erzeugen.“ Bundesweit sind laut einer Erhebung von 2020 knapp 360.000 Hektar stillgelegt, in Hessen waren es im vergangenen Jahr mehr als 18.000 Hektar. „Alles was man tun muss, ist, Landwirten zu erlauben, ihre eigenen Flächen zu bewirtschaften.“ Gleichermaßen forderte Rock als kurzfristige Maßnahme ein Umdenken in Bezug auf die sogenannten roten Gebiete, in denen weniger gedüngt werden darf. Diese Unterdüngung habe zu niedrigeren Erträgen und schlechterer Qualität der Ernte geführt. „Deswegen ist auch das eine Maßnahme, die wir uns zumindest temporär gar nicht leisten können.“

Rock betonte: „Mittelfristig muss außerdem neu darüber nachgedacht werden, ob es in einer Situation, in der wir maximale Erträge brauchen, sinnvoll ist, ein planwirtschaftliches Ziel von 25 Prozent Ökolandbau bis 2025 in Hessen zu verfolgen, obwohl dieser ertragsschwächer ist. Schließlich wird auch konventionelle Landwirtschaft durch Forschung und Innovation immer ökologischer. Dass wir überhaupt noch einen politischen Unterschied machen, ist nicht mehr zeitgemäß.“ Als mittelfristiges Ziel benennen die Freien Demokraten eine Neubewertung dessen, was in der europäischen Agrarpolitik in Planung ist. „Es wäre jetzt Zeit für eine starke Stimme Hessens für die Landwirtschaft, zum Beispiel durch eine Bundesratsinitiative“, sagte Rock und ermutigte zum Verzicht auf weitere Beschränkungen für die Landwirtschaft sowie zur Aufnahme der Ernährungssicherheit in den Green Deal. „Lebensmittel zu produzieren, ist die ureigene Aufgabe der Landwirtschaft. Wir brauchen keine staatlich finanzierten Landschaftsgärtner, sondern unternehmerische Landwirte, die damit ihr Geld verdienen, dass sie Nahrungsmittel erzeugen. Wir können aus Hessen heraus nicht die Welt ernähren, aber wir haben die Pflicht, unseren Beitrag dazu zu leisten“, mahnte Rock.

In ihrer Aktuellen Stunde setzten sich die Freien Demokraten eindringlich dafür ein, dass die Gesellschafter der Messe Frankfurt, das Land Hessen und die Stadt Frankfurt, eine strategische Perspektive für eine erfolgreiche Zukunft von Messegesellschaft und Messestadt entwickeln. Rock forderte größere Anstrengungen der Landesregierung: „Der Wirtschaftsmotor und Wachstumsgarant des weltweit größten Messe-, Kongress-, und Eventveranstalters mit eigenem Gelände ist dank des völligen Desinteresses von Hessens Wirtschaftsminister Al-Wazir (Die Grünen) und Oberbürgermeister Feldmann (SPD) schon vor den Lockdown-Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie ins Stottern geraten. Natürlich hat die Pandemie dann zusätzlich tiefe Spuren hinterlassen. Das von Land und Stadt bereitgestellte 250-Millionen-Euro-Unterstützungspaket dient nur dazu, die Zahlungsfähigkeit und damit das Überleben der Messe sicherzustellen, das ist bei weitem nicht genug.“

„Es geht um die Zukunft des Messestandorts. Da darf sich die Landesregierung nicht zurücklehnen“, erklärte Rock. „Die Messe, deren ökonomische Bedeutung weit über die Grenzen der Stadt hinausgeht und mit deren Geschäft hessenweit rund 24.000 Arbeitsplätze verbunden sind, ist ein zentrales Instrument der hessischen Wirtschaftspolitik und neben dem Frankfurter Flughafen eine von zwei wesentlichen wirtschaftlichen Beteiligungen des Landes. Insofern hat die Landesregierung alle Möglichkeiten, die Messe wieder auf Wachstumskurs zu bringen.“

Leider sei aber aktuell das Gegenteil der Fall: Mit dem Frankfurter OB Peter Feldmann habe Al-Wazir die IAA vertrieben, die Fashion Week habe sich nach einem kurzen Gastspiel wieder aus Frankfurt zurückgezogen, und auch das Aus der traditionsreichen Musikmesse sei besiegelt.  „Eine solche Politik können wir uns in Zukunft nicht mehr leisten. Es braucht einen tragfähigen Zukunftsplan, um konkurrenzfähig zu bleiben“, bemerkte Rock. „Was sind die globalen Trends, was erfordert die Digitalisierung des Messewesens mit Blick auf hybride Veranstaltungen, welche Messen können wirtschaftlich und innovativ Erfolg bringen? Wir brauchen für dieses wirtschaftliche Drehkreuz Hessens eine überzeugende Strategie.“ Rock erinnerte auch an die Russland-Beteiligungen der Messe Frankfurt. „Diese müssen beendet werden, auch dazu haben wir noch nichts gehört.“

Anlässlich der Plenardebatte über steigende Energiepreise rief Rock dazu auf, sich auch in der Energiepolitik auf neue Denkweisen und Prioritäten einzulassen. „Der völkerrechtswidrige Angriff Russlands auf die Ukraine hat die Versorgung mit Rohstoffen zur Energiegewinnung nach der Corona-Pandemie noch einmal dramatisch verteuert. Klimaschutz ist wichtig, aber die Sicherheit der Energieversorgung und damit die Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft testet unsere alten Überzeugungen. Wir müssen unsere einseitige, ja naive und gefährliche Abhängigkeit von Russland bei Öl, Gas und Kohle durch die Diversifizierung von Energieproduktion und Energielieferungen schnell zurückfahren. Dazu gehört unter anderem, Flüssigerdgas aus dem Ausland zu beziehen“, erklärte Rock. Ferner müssten erneuerbare Energiequellen und die Wasserstofftechnologie, für die sich die Freien Demokraten seit langem einsetzen, weiter ausgebaut werden. „Es ist zwingend, darauf zu achten, dass unser Land und unsere Wirtschaft handlungsfähig bleiben, und sicherzustellen, dass die unabwendbaren Mehrkosten sozial abgefedert werden. Um den beiden Preisschüben durch Corona und den Ukraine-Krieg entgegenzuwirken, hat die Bundesregierung aus SPD, Grünen und Freien Demokraten bereits wesentliche Entlastungen beschlossen“, erinnerte Rock und nannte unter anderem den Wegfall der EEG-Umlage, den Heizkostenzuschuss für Bezieher von Wohngeld, Azubis und Studierende sowie die erst jüngst beschlossene Energiepauschale, die Absenkung der Energiesteuer auf Kraftstoffe und die Erhöhung der Entfernungspauschale für Fernpendler (ab dem 21. Kilometer) sowie der Mobilitätsprämie auf 38 Cent.

Mit der Einbringung eines Gesetzentwurfs in erster Lesung zur Gründung einer Hessischen Gesellschaft für Schieneninfrastruktur wollen die Freien Demokraten die Angebotsvielfalt effizienter Mobilität und die Attraktivität des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) erhöhen. „Das aktuelle Defizit an ausgebauter und neuer Schieneninfrastruktur hemmt die Entwicklung des Landes, denn es erschwert die Entstehung neuer Baugebiete in den Ballungsräumen, behindert das nötige Wachstum des ÖPNV und steht der weiteren Erschließung des Landes und damit Fortschritt, Wachstum und Wohlstand im Weg“ unterstrich Rock. „Der Ausbau und Neubau von Eisenbahninfrastruktur sind genauso dringend erforderlich wie die Wiederherstellung nicht mehr genutzter Schienenstrecken – und zwar überall dort, wo diese Bahnstrecken eine ergänzende Funktion zum Netz der Deutschen Bahn erfüllen können.“

Rock erläuterte: „Schieneninfrastrukturprojekte bedürfen immer einer umfangreichen Planung. Doch selbst leistungsfähige Kommunen oder Kreise sind oftmals nicht in der Lage, die Expertise bereitzustellen, die für die Planung und Umsetzung eines Projekts notwendig ist. Daher wollen wir Freien Demokraten mit unserem Gesetzentwurf die Gründung einer Hessischen Gesellschaft für Schieneninfrastruktur ermöglichen. Auf diese Weise sollen die Planungen, der Bau und der Betrieb neuer Schieneninfrastruktur beschleunigt und verstetigt werden. Planung und Bau der Regionaltangente West durch die regionale Gesellschaft RTW GmbH, die eigens dafür gegründet wurde, sind hier ein gutes Beispiel, das wir auf ganz Hessen übertragen können.“  

Die neue Gesellschaft soll privatrechtlich organisiert werden und sich um Planung, Ausführung, Betrieb, Erhaltung und Finanzierung von Infrastrukturprojekten kümmern.  Das Land soll die Gesellschaft als Mehrheitsgesellschafter unterstützen und damit zukünftig eine noch größere Verantwortung für den Ausbau von Schieneninfrastruktur in Hessen tragen. Als weitere Anteilseigner sind die Verkehrsverbünde in Hessen, Hessen Mobil sowie die kreisfreien Städte und Landkreise vorgesehen.

Mehr Informationen und Videos zur Plenarwoche finden Sie unter fdp-fraktion-hessen.de/plenarberichte/